Als ich heute früh aus dem Haus trete, treffe ich auf einen Mann in Grün, der mit dicken Handschuhen Weinranken von der Mauer rupft. Die ganze Ostseite des ansonsten nicht besonders attraktiven Gebäudes ist von Wein bewachsen, ich freue mich seit ein paar Wochen über die grünen Blätter, und der schönste Trost im Herbst ist die flammend rote Laubwand am Haus.
Der Mann rupft und zerrt und pflückt, dann rubbelt er mit dem rauhen Handschuh die nackten Ziegelsteine.
Ich frage entsetzt, ob er etwa - noch ist der Rankenstapel neben im klein und er steht noch nicht mal im Beet vor dem ersten Fenster - den ganzen Wein abreißen wird? Mit Stämmen, Wurzeln, allem?
Ja, wird er.
Ich schimpfe, jammere, lobe den schönen Wein, flehe, bitte ihn, wenigstens einen oder zwei der Weinstöcke zu verschonen.
"Mir wurde das so gesagt, das wurde so beschlossen, alles weg."
Aber warum nur? Die berankte Mauer ist das schönste am ganzen (spießigen und überreglementierten) Haus!
"Jo, aber die Mauer wird ja auch nicht besser mit Wein drauf." (Sieht aber dort, wo er die Klebefüße des Weins abgerieben hat, sehr ordentlich und nicht besonders gefährdet aus.)
"Außerdem", sagt er und reißt eine querlaufende Ranke mit zartem Grün ab, "geht der ja schon bis zur Dachrinne."
Der geht schon bis zur Dachrinne! Ja, wenn er nicht in die Dachrinne wachsen soll, kann man ihn doch vielleicht an den oberen Trieben etwas kappen? So wie man ja auch die Fenster freischneidet?
Mehrere armdicke Weinstöcke aus der Erde zu reißen, weil sie oben zu hoch kommen - das erinnert mich an den Witz mit dem Mann, der sich einen wunderschönen neuen Spazierstock mit silbernem Knauf kauft, der ihm allerdings etwas zu lang ist. Patent sägt er ihn unterhalb des Griffs ab, Problem gelöst. "Aber mein Herr, warum haben sie denn den schönen Knauf abgesägt und nicht unten ein Stück gekürzt?" - "Na, unten hat er doch gepasst."
Mann! Reg ich mich auf! Und mag in Erwartung dessen, was mich dort erwartet, gar nicht nach Hause fahren. Ein Anblick, scheußlich und gemein.
(Bald ist nichts mehr übrig von den wenigen Schönheiten dieses Gartens! Siehe auch letztes Jahr um diese Zeit:
Mammutbaum.)